Leseprobe Landsberger Stadtgeschichten

Station 1: Der Hauptplatz

Am Hauptplatz, dem Herzstück der Altstadt, trifft man sich seit eh und je am Brunnen, egal ob jung, ob alt, ob Liebespaar, Geschäftsleute, Fremde oder Kinder. In alten Zeiten stand auch noch das alte Rathaus mitten am Platz. Immer schon wurde hier der Markt abgehalten, und aus der ganzen Umgebung strömten die Händler und Bauern nach Landsberg, um ihre Waren anzubieten, und die letzten Neuigkeiten auszutauschen. An so einem Markttag des Jahres 1315 könnte sich die nachfolgende Geschichte zugetragen haben …


Der Bäcker-Hannes
König Ludwig der Bayer in der Stadt

Langsam lichtete sich der Nebel über der Stadt und das Grau wich einer lockeren Wolkendecke, die sich am Himmel bauschte. Die ersten Sonnenstrahlen wagten sich über dem Schlossberg heraus und ließen die Zinnen der alten Herzogsburg im milden Licht der Morgensonne rotgolden aufleuchten. Es versprach ein schöner Spätsommertag zu werden. Am Rathaus schickten sich an diesem Morgen des Jahres 1315 die ersten Händler an, ihre Waren aufzubauen. Schmucke Bürgerhäuser und prall gefüllte Warenstände zeugten vom Reichtum der alten Grenzstadt, sorgte doch der Salzhandel, der durch Landsberg über den Lech hinüber ins Schwäbische führte, für gesicherte Einnahmen und gute Geschäfte.

Auch Hannes, seine Schwester Anna und seine Mutter Barbara brachten ihre frischen Backwaren an ihren Stand. Die Mutter, die „Bäckerbabs“, wie sie in der Stadt genannt wurde, ging schon auf die Vierzig zu und neigte nach vielen Geburten zur Fülle. Ihr einstmals flachsblondes Haar war von ersten silbernen Strähnen durchzogen, und der Rücken von der Last der schweren Körbe leicht gebeugt. Auch jetzt trug sie wieder die köstlichen Sauerteigbrote, die ihr Mann, der Bäckermeister Johann Pichlmeier, am frühen Morgen gebacken hatte, auf den Markt. Der fünfzehnjährige Hannes, ein schlaksiger junger Bursche mit blondem Lockenschopf und himmelblauen Augen, die hellwach in die Welt blickten, half bereits kräftig in der Backstube mit. Auf dem Markt war er die Stütze der Mutter und ein wahres Verkaufstalent. Seine um zwei Jahre ältere Schwester Anna, ein eher scheues Mädchen, half ebenso im Familienbetrieb mit und bot am Bäckerstand Zucker- und Schmalzgebäck an, eine Spezialität der Bäckerei Pichlmeier. Gertenschlank gewachsen und gewandet mit einem schlichten schwarzen Rock, hellblauer Schürze und blütenweißer Bluse, zog sie die Blicke auf sich. Zwei dick geflochtene Zöpfe umrahmten ihr fein gezeichnetes Gesicht mit den blaugrünen Augen, und wenn die Sonne auf ihr Blondhaar fiel, leuchtete es kupferfarben auf. So mancher Kunde kam nicht nur wegen der bekannt guten Brote und dem Schmalzgebäck auf den Markt, sondern auch, um Anna zu sehen und ein paar Worte mit dem schüchternen Mädchen zu wechseln. Zwei Nachzöglinge, die Zwillinge Sofia und Auguste im Alter von sieben Jahren, waren zu Hause und wurden von der betagten Großmutter betreut. Allmählich füllte sich der Platz. Vom bayerischen Umland her waren Bäuerinnen in die Stadt gekommen und boten hier Gemüse, Eier, Butter, Mehl, Obst und selbst gebrannte Spiritu- osen an. Kleinkrämer priesen lautstark ihre Erzeugnisse wie Seifen, Salben, Bürsten, Besen und allerlei Tand an. Stoffe und Haushaltswaren wurden ebenso feilgeboten wie Handwerkszeug, Wein und Schnaps, und sogar Schmuck und erlesene Goldschmiedekunst gab es zu kaufen. Der Marktplatz und die Arkaden des Rathauses waren seit jeher ein Treffpunkt für Jung und Alt. Informationen wurden hier ausgetauscht, Handel betrieben, Geschäfte abgeschlossen, und nach getätigten Einkäufen versammelte man sich bei schönem Wetter rund um den Brunnen mit der eindrucksvollen Fontäne und genoss die Geselligkeit. Nicht Wenige gönnten sich anschließend sogar noch einen Umtrunk in der Weinstube des Rathauses. Heute aber war alles anders. Eine seltsam nervöse Stimmung lag über dem bunten Treiben, und statt nach den Einkäufen noch fröhlich schwatzend die letzten Neuigkeiten auszutauschen, hatten es die meisten Marktbesucher eilig, wieder nach Hause zu kommen ...


Was wirklich geschah:

Herzog Ludwig IV. von Oberbayern aus dem Geschlecht der Wittelsbacher, genannt Ludwig der Bayer, wurde 1314 zum deutschen König gewählt, 1328 sogar zum Kaiser des Römischen Reiches. Gleichzeitig wurde aber auch der Habsburger Friedrich der Schöne zum König gekrönt. Dies hatte eine militärische Auseinandersetzung zur Folge, in die auch Landsberg hineingezogen wurde. Friedrich der Schöne und sein Bruder Leopold belagerten die Stadt, und da die Landsberger sich nicht ergeben wollten, brannten die Habsburger die Stadt nieder. Als sich König Ludwig mit seinem Heer näherte, zogen die Habsburger ab. Zum Dank für die Treue und als Ansporn für den Wiederaufbau gewährte König Ludwig der Bayer Landsberg zahlreiche Privilegien wie ein Ungeld auf Waren (vergleichbar mit der heutigen Mehrwertsteuer), einen Wagenpfennig (Warenzoll) und das Münchener Stadtrecht mit vielen Rechten und Freiheiten. Als 1319 ein weiteres Mal die Habsburger in Landsberg einfielen und die Stadt verwüsteten, gewährte Ludwig weitere Privilegien wie den Salzpfennig und die Verringerung der zu entrichtenden Steuer von 50 auf 40 Augsburger Pfennige. Die entsprechenden Urkunden zählen zu den ältesten, die im Stadtarchiv vorhanden sind. Der Historienmaler Eduard Schwoiser hat die Szene in einem übergroßen Wandgemälde festgehalten. Es ist im Festsaal des historischen Rathauses zu besichtigen. 

König Ludwig der Bayer in der Stadt

Fresco im Festsaal des Historischen Rathauses Landsberg
© Stephanie Irlen, Stadtmuseum Landsberg am Lech

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